Dr. Holger Weimann

Erfahrungsbericht

Im März 1996 geschah nahe Passau etwas Schreckliches: Ein 15-Jähriger verkleidete sich als Monster aus einem Horrorfilm und ging mit einer Machete auf seine zehn Jahre alte Cousine und seine Tante los. Beide erlitten schwerste Verletzungen, die Cousine überlebte nur knapp und wird für immer geistig behindert bleiben. Für Monate war die Stadt in Aufruhr, Journalisten aus ganz Europa belagerten beim Prozess das Gericht: Führen Horrorfilme zu Gewalt? Es war der erste Prozess, bei dem diese Debatte angestoßen wurde. Und ich, als kleiner Stipendiat und Anfängerjurist, für die PNP mittendrin. Urlaubsvertretung. 

Mich hat dieses Erlebnis geprägt. Wie kann man über so ein Ereignis berichten, ohne noch mehr zu zerstören? Den kleinen Rest von Familie, der noch übrig war. Mussten Opfer, Eltern und Verwandte des Täters nicht geschützt werden vor der Neugier der Menschen? Brauchte nicht auch der Täter Hilfe, die er nur in der Anonymität bekommen konnte?

Fragen wie diese beschäftigen mich heute in meinem Anwaltsjob fast jeden Tag. Rückblickend hat die Bluttat viel mit meiner Entscheidung zu tun, im Medienrecht zu arbeiten. Nach dem zweiten Staatsexamen fing ich bei Burda als Anwalt an und wühlte mich durch das Presserecht der Yellow Press. Nun bin ich seit 15 Jahren in dem Beruf und leite den Medienbereich meiner Kanzlei. Man kann also sagen, dass das Passauer Modell einen Anwalt aus mir gemacht hat. Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich mich 1993 bewarb.

Der Täter wurde übrigens zu einer Bewährungsstrafe verurteilt mit der Auflage, dass er keine Horrormasken mehr tragen durfte. Den Onkel, der dem Kind die Videos gezeigt hatte, sprach das Gericht frei. Die Familie hat das Dorf verlassen, in dem sich alles abgespielt hat. Und wie ging es ansonsten weiter? Was wurde aus den Opfern? Das ist unbekannt. Zum Glück.

Dr. Holger Weimann war von 1993 bis 1997 Stipendiat. Nach dem Studium hat er sich für eine juristische Karriere entschieden – so ganz weg vom Journalismus kommt er als Medienrechtler aber doch nicht. Als Dozent im „Medienrechts“-Seminar gibt Weimann sein Wissen auch an aktuelle Stipendiaten weiter.